HANNAH VIETH-FLEISCHHAUER, BONN
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The Meaning of an Improvisation |
Summary: The contribution demonstrates the relatedness of theory and practice within the Integrative Music Therapy Education with the aid of an example.Starting from participants' own improvisation and the self experience related to it, students deal with questions of hermeneutics of the non-verbal and with the way in which musical action is an integrated part of individual and group processes. Exchanging their experiences, they attempt to verify what they have perceived and to combine their perceptions, so as to acquire meaning from mutual responses with their possible parallel experiences.
Zusammenfassung: Der Beitrag zeigt am Beispiel einer Improvisation die Theorie-Praxisverschränkung in der Ausbildung zum Integrativen Musiktherapeuten. Ausgehend von der eigenen Improvisation und der damit verbundenen Selbsterfahrung befassen sich die Studierenden mit Fragen der Hermeneutik des Nonverbalen und der Einbettung der musikalischen Aktion in individuelle und gruppale Prozesse. Im Austausch versuchen sie, ihre Wahrnehmungen zu verifizieren und zu verknüpfen, uni über Ko-Respondenz Sinn zu erfassen. |
Vorüberlegungen Performanz und Kompetenz der Musiktherapeuten Was braucht man, um improvisieren zu können? Eine Schatzkiste an musikalischen Performanzen (die Beherrschung verschiedener Instrumente, musiktheoretisches Wissen, eine Bandbreite unterschiedlicher musikalischer Stile) ist gewiß ein gutes Startkapital. Aber um es ad hoc optimal zu nutzen, bedarf es auch der Bereitschaft, sich auf ein Geschehen einzulassen, das sich nicht planen, nicht hundertprozentig kontrollieren läßt. Spontan, „aus dem Bauch heraus“ zu handeln, auch und gerade wenn noch andere an dem musikalischen Abenteuer beteiligt sind, gelingt nur, wenn kein Leistungsdruck die spielerische Unbefangenheit stört. Solche improvisatorische Souveränität ist auch bei guten Musikern keine Selbstverständlichkeit und wird nicht automatisch mit einer klassischen Ausbildung erworben. Doch wer sich selbst im Improvisieren zu Hause fühlt, kann nicht so ohne weiteres auch andere dazu bringen, es ihm gleichzutun, zumal wenn es sich dabei um Menschen handelt, die mangels Selbstvertrauen und mangels der Fähigkeit, Widersprüche und Frustrationen auszuhalten, auf Bewertung zu verzichten (Footnote 01) , Angst vor Versagen oder Blamage haben. Gerade mit solchen Menschen haben Musiktherapeuten es oft zu tun. Sie müssen also nicht nur improvisieren, sondern auch für ein Klima sorgen können, in dem sich Spiellust und Experimentierfreude entfalten und jene „größtmögliche Offenheit nach innen und außen“ (Footnote 02) möglich wird, die bewußte und unbewußte Impulse in kreative Expressivität umsetzt. Aber ist eine derartige Improvisation per se schon Therapie? So erfreulich, heilsam ihre Wirkung auch für den/die Beteiligten sein mag, wird der Musiktherapeut nicht umhin können, diese Aktion in einem größeren Zusammenhang zu betrachten, sie als einen Schritt auf dem Weg zu einem bestimmten Ziel zu sehen. Wie sonst könnte er entscheiden, zu welchem Zeitpunkt, in welchem Setting, mit welchen thematischen, instrumentalen, zeitlichen Vorgaben eine Improvisation „dran“ ist? Was er als mögliche therapeutische Ziele definiert, welche Funktion er dabei der Improvisation beimißt, hängt in erster Linie von seinem therapeutischen Grundkonzept ab. Der konzeptionelle theoretische Background spielt bei dem, was Musiktherapeuten vor, während und nach der Improvisation tun, also eine maßgebliche Rolle; seine musikalischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, mehr noch die seiner Patienten, schlagen sich lediglich in der musikalischen Gestaltung nieder. Die „Kunst der Improvisation“ mit therapeutischem Know How zu verknüpfen, wie es die Praxis erfordert, erscheint mir wesentlich einfacher, wenn die angehenden Musiktherapeuten diese beiden Eckpfeiler ihrer Arbeit während ihrer Ausbildung nicht als voneinander getrennte Gebiete, sondern eng miteinander verbunden erfahren. Musik und Therapie in der Ausbildung Deshalb erfahren die Ausbildungskandidaten Integrative Musiktherapie prozeßorientiert „am eigenen Leib“, um dann auf der Metaebene das musikalische und therapeutische Geschehen im Kontext des individuellen und des gruppalen Prozesses zu reflektieren. Mit wachsender Professionalisierung gehen sie allmählich immer öfter selbst in die Rolle des Therapeuten. Ein Beispiel aus der Ausbildungspraxis Mit dem nun folgenden Beispiel aus dem Einzelseminar „Improvisation in der Integrativen Musiktherapie“ möchte ich skizzieren, wie sich in einem solchen Ausbildungskontext die Selbsterfahrungs- und und die professionelle Ebene miteinander verbinden. Die Improvisation einer Gruppe von fünf Frauen Verlauf Am zweiten Tag des Improvisationsseminars (in den auch für Interessenten anderer musiktherapeutischer Richtungen offenen Einzelseminaren haben nicht alle Teilnehmer die Integrative Musiktherapie als Background) finden sich fünf Frauen zusammen, um gemeinsam zu improvisieren. Über einen Zeitraum von 35 Minuten spielen sie, mehrfach die Instrumente wechselnd, in immer wieder neuen Konstellationen zusammen. Als musikalisches Geschehen könnte man es etwa folgendermaßen beschreiben: Mehrfach entstehen „Dialoge“, zu denen sich je eine Dritte gesellt, während zwei Spielerinnen zuhörend oder unterstützend im Hintergrund bleiben, bis ihr Spiel schließlich so prägnant wird, daß sich daraus eine neue Konstellation ergibt. Das Spiel bleibt auch in den Forte-Passagen transparent. Veränderungen in der Dynamik oder im Tempo geschehen ohne abrupte Brüche. Schräge, dissonante Elemente werden von den anderen Spielerinnen in einer Weise integriert, daß sie ohne zu stören das Spiel beleben. Neben ausgesprochen rhythmischen Passagen gibt es sehr melodische, von Stimme(n), Akkordeon und Glockenspiel geprägte Partien; im letzten Drittel bestimmt das Klavier vorübergehend ein bluesähnliches Zusammenspiel, bevor sich die rhythmisch-harmonische Struktur mehr und mehr auflöst und das Spiel in einem langen, von allen getragenen, allmählich abebbenden und leiser werdenden Tremolo ausklingt. Sharing Nach der Improvisation teilen sich die Spielerinnen zunächst ihr Erleben und Empfinden spontan, „unprofessionell“ mit. Der Wunsch, das was jede Einzelne im Spiel, in den Interaktionen wahrgenommen hat, zu verifizieren, das eigene Empfinden und Tun und das der anderen zu verstehen, läßt die Äußerungen um die Frage kreisen: Wie habe ich mein eigenes Spiel, meine Rolle in Bezug auf die anderen wahrgenommen, was habe ich gehört, empfunden, gedacht und gespielt, wie haben andere mich gehört und verstanden? Auch: Was habe ich möglicherweise zum Ausdruck gebracht, ohne mir dessen bewußt zu sein?Die Berührtheit der Spielerinnen ist atmosphärisch spürbar. Die Symbolhaltigkeit der Musik trägt nun in sprachlichen Bildern weiter: Ritt über die Prärie, traute Zweisamkeit, Dazwischenfunken. Inneres Erleben und dessen musikalischer Ausdruck werden oft dergestalt verknüpft, daß das musikalische Material selbst die entsprechenden emotionalen oder interaktionalen Attribute erhält: wehmütige Melodie, mitreißender Rhythmus.
In dieser Sharing-Runde ergeben sich Hinweise auf biographische und aktuale Bezüge; gleichwohl handelt es sich hier nicht um ein Seminar, das Selbsterfahrung als solche zum Inhalt hat. Als Grundlage für die Beschäftigung mit Fragen der musiktherapeutischen Praxis sind diese eigenen Erfahrungen jedoch unverzichtbar. Demgemäß wechselt das Gespräch auch auf die Metaebene, wo es unter anderem um die Frage geht: Kann ich als Therapeut überhaupt mit Bestimmtheit wissen, was der Klient „meint“? Und gibt es neben den einzelnen musikalischen Phänomenen noch andere Faktoren, die es zu erfassen gilt, um zu verstehen? Was wird hier eigentlich ausgedrückt? Die Mehrdeutigkeit der nonverbalen Sprache Musik Daß sich über Musik etwas ausdrücken läßt, etwas Persönliches, emotional Bedeutsames, setzen wir als Musiktherapeuten voraus. Improvisation als therapeutische Technik machte schlichtweg keinen Sinn ohne all die Möglichkeiten, über das spontane Spiel innere Befindlichkeit hörbar zu machen, atmosphärische und szenische Erinnerungen wachzurufen, Beziehungsmuster zu erfahren und kreative Potentiale zu entfalten. Doch was sich in welcher Deutlichkeit mit Musik überhaupt sagen läßt, ist eine immer wieder neu gestellte Frage. Schließlich haben wir in der Musik der 20. Jahrhunderts keine verbindliche musikalische „Grammatik“, kein formales und harmonisches Gerüst, das den einzelnen Elementen im Gesamtkontext eine bestimmte semantische Bedeutung zuweist. Keine der barocken Affektenlehre vergleichbare Tonsprache legt die Bedeutung der einzelnen „Vokabel“ fest. Angesichts der polyglotten Musikkulturen unserer Zeit, die nicht nur räumlich, sondern im Rückgriff auf frühere Musiktraditionen auch zeitlich von schier grenzenloser Offenheit sind, stellt sich die Frage, ob in solcher musikalischer Vielsprachigkeit überhaupt noch so etwas wie Eindeutigkeit, Konsens über die Bedeutung einer musikalischen Aussage, zu erreichen ist. Werden die fünf Spielerinnen (und auch die Zuhörer) nicht je nach ihrer musikalischen Heimat ein und dieselbe klangliche Erscheinung in unterschiedlichen Kontext bringen und als Ausdruck einer je anderen Botschaft verstehen? B. fühlt sich etwas unsicher und bleibt im Hintergrund, bis sie in L.s Gesang eine Skala erkennt, mit der sie „etwas anfangen kann“ und der sie auf dem Glockenspiel kontrapunktisch zu begegnen versucht. L., die mit geschlossenen Augen singt, empfindet eine „große Weite und Freiheit“: „Diese Wehmut ist ein Teil von mir, den ich mir sonst nicht erlaube.“ K. überkommt Traurigkeit bei „dieser süßen Bitterkeit“. Ihren eigenen Schmerz zu spüren und ihn zuzulassen, macht sie, wie sie sagt, frei für das Spiel auf der Big Bom, das sie etwas später dann kraftvoll realisiert. D., findet „die Intimität fast unerträglich“. Zuhörer umschreiben die Szene mit „innig“, „sehnsuchtsvoll“, „einsam zu zweit“, „Vollmondnacht“ (Daß auch B., die sich mit ihrem kognitiv gesteuerten Beitrag auf sicherem Boden wähnt, emotional angesprochen wird, wird deutlich, als sie sich mit ihrem plötzlichen Spielabbruch auseinandersetzt). Aus ein und derselben Tonfolge wird also sowohl die strenge Klarheit der Kirchentonart als auch die bittersüße „Sinnlichkeit einer Zigeunermelodie“ herausgehört, je nachdem, welche kognitiven und emotionalen Querverbindungen die Archive ihres Gedächtnisses den Hörenden anzubieten haben. Denn hier wie bei jeder anderen neuen Wahrnehmung versuchen wir das Neue einzuordnen, indem wir es mit bereits Vertrautem in Beziehung setzen. Dieses sich Erinnern mitsamt der darin enthaltenen emotionalen Berührtheit schwingt im „Verstehen als..“ und in der Antwort darauf mit. Rhythmen, von einigen als tragend und Verbindung schaffend empfunden und freudig angenommen, erscheinen zwei anderen als zu dominant, ja als einengender Zwang, auf den die eine mit Rückzug (verstummen, „sich zeitweise ausklinken“), die andere mit aktiver Abgrenzung („Befreiungsschläge“ auf dem Gong) reagiert. Auch die rhythmisch-harmonischen Strukturen des Blues, der einen so lieb und vertraut, daß sie sich in ihrem Schutz - „endlich!“ - solistisch hervorwagt, empfindet eine andere als starr und einengend, zudem negativ besetzt mit der Erinnerung an einen „fiesen jazzenden Onkel“. Bei den übrigen drei Mitspielerinnen löst ebendiese Sequenz Reaktionen aus von „Mitmachen und sich zu Hause fühlen“ über „haha, die Jugendzeit“ bis zu dem Bedürfnis „bloß weg davon“. All diese Empfindungen fließen im gemeinsamen Spiel zusammen zu einer musikalischen Gestalt, die Bekanntes zitiert und ironisch verfremdet und sich schrittweise in Richtung regelloser Offenheit davon entfernt. Die Facetten subjektiver Wahrnehmungen, Interpretationen und Reaktionen sind so vielfältig, daß sie immer nur partiell erhellt werden können; es geht hier auch nicht um Vollständigkeit, sondern darum, gemeinsam Sinn zu erschließen in einer äußerst komplexen Kommunikation. Dafür unverzichtbar ist der intersubjektive Austausch, die Ko-Respondenz, über das, was da stattgefunden hat. Die Expressivität der Geste Aber wird in einer Improvisation das Gemeinte nicht trotz aller Mehrdeutigkeit meistens doch im Kern richtig verstanden? Spielerin D., in hockender Haltung, kratzt mit dem Bogen über die Psaltersaiten, klingelt an den Chimes, streckt sich für ein, zwei Schläge nach dem Gong. Bei jeder Aktion lächelt sie, wirkt aber angespannt. Sie bewegt sich (noch immer in der Hocke) auf die beiden Trommlerinnen zu und blickt die beiden, schräg von unten an. Die Trommlerinnen, die sich in Spiel und Körperhaltung weiterhin aufeinander beziehen, lächeln sie kurz an. Sie kratzt etwas heftiger, und die Trommeln werden lauter. Da weicht D. zurück, richtet sich auf, läßt, ernst und mit nach innen gekehrtem Blick, einige langgezogene Töne erklingen und legt dann das Instrument beiseite. Beobachter mutet die Szene an wie „Kind zerrt an Mutters Rockzipfel, um sich bemerkbar zu machen“. D. selbst hat, wie sie sagt, (zunächst) den Impuls „richtig böse dazwischenzufunken“; bei den langen Tönen fühlt sie sich unverstanden und „sehr abseits“. Die Trommlerinnen hatten D.‘s Einwürfe als neckische Einmischung empfunden und „noch mehr davon erwartet“.Übereinstimmend wurde die Botschaft „hallo, hier bin ich, nehmt mich wahr“ verstanden, obwohl der Beitrag musikalisch nicht gerade ergiebig war. Seine Aussagekraft als akustische Geste wurde noch durch das ergänzt, was Mimik, Haltung und Bewegung ausdrückten, (wobei sich noch zeigen wird, daß gerade diese Ergänzung widersprüchlich und damit mißverständlich war). Schon HERDER (Footnote 03), der sich eingehend mit der menschlichen Ausdrucksfähigkeit befaßt, betrachtet Sprache und Musik als deren je verschiedene Ausformungen. Wie gestische Signale seien auch akustische Zeichen affektiver Äußerungen universell und unmittelbar verständlich. HAUSEGGER spricht sogar von einer biologischen Kongruenz zwischen expressiver Geste und dem in Resonanz erlebten Gefühl (Footnote 04). Das also keineswegs neue Erklärungsmodell der Klanggeste hilft insbesondere dort, wo sie als Teil einer umfassenden leiblichen Expressivität verstanden werden kann, musikalische Aktionen zu erfassen, deren Sinn ansonsten vielleicht verschlossen bliebe. Improvisation als Prozess im Prozess Prozessuale Betrachtungsweise Eine Improvisation ist ein interaktionales Geschehen, in dem individuelle Prozesse aufs engste miteinander verwoben sind. Sie ist zugleich Bestandteil von individuellen und gruppalen Prozessen, die schon vor der musikalischen Realisation begonnen haben und mit deren Ende noch nicht abgeschlossen sind. Für Therapeuten, die nicht nach einem festen Behandlungsschema das Wann und Wie einer Improvisation entscheiden, ist es unerläßlich, das Geschehen auch unter prozessualen Gesichtspunkten zu betrachten. Das, was in ihr an biographischen und aktuellen Themen anklingt und zum Ausdruck kommt, hat auch etwas mit dem zu tun, was bereits vor dem Spiel geschehen ist. Die Abfolge der einzelnen Sequenzen einer Improvisation ist kein Produkt des Zufalls, ihre Gestaltung keineswegs beliebig. Aktionen, bzw. Reaktionen während des Spiels sind Teile einer äußerst komplexen Kommunikation; was als dynamisches Aufeinanderbezogensein hör- (und sicht-)bar wird, folgt einer inneren Logik und läßt die Improvisation zu etwas Eigenständigem, Einmaligem werden, das weit mehr als die Summe der einzelnen Aktionen ist. In der Integrativen Therapie unterscheiden wir vier Prozeßphasen und legen in der Ausbildung Wert auf eine prozessuale Betrachtungsweise auch dort, wo es sich nicht eigentlich um therapeutische Arbeit handelt. So kann bei jeder Improvisation auch die Frage auftauchen: Warum hat sich diese Improvisation so entwickelt wie sie sich entwickelt hat, und was hat sie bewirkt? Im Einzelkontakt Therapeut-Patient sind daran anknüpfende Überlegungen oft für die weitere Arbeit sehr ergiebig; bezogen auf eine Gruppenimprovisation machen sie den Gruppenprozeß transparent. Gruppenprozeß Einander in der Musik begegnen, Grenzen ausloten, sich musikalisch ohne Leistungsdruck zeigen, ungewohnte Rollen ausprobieren, einander gewährenlassen, all diese in der Initialphase angesprochenen Erwartungen sind dann in der Improvisation, der Aktionsphase, präsent. Das sich daraus ergebende Gespräch dient der Integration, mittels derer das leiblich im Handeln Erfahrene verifiziert und in einem weiteren Sinn verstanden werden kann und damit den Blick nach vorn, die Neuorientierung, möglich macht: Was haben wir eigentlich verstanden? Woran und wie arbeiten wir nun als nächstes?In Seminaren wie dem hier vorgestellten wird außerdem gegen Ende eine Gruppenprozeßanalyse durchgeführt. Dabei wird im Rückblick erkennbar, wie die Ebene des sozialen Miteinanders und die Umsetzung der Lehrinhalte einander beeinflussen. Bezogen auf den Gesamtprozeß kann diese Zusammenschau als Integrationsphase verstanden werden, die die gemachten Erfahrungen und gewonnenen Einsichten als Zuwachs an beruflicher (und persönlicher) Kompetenz verfügbar macht. In der Abschlußrunde, der Phase der Neuorientierung - „von den Phänomenen zu den Strukturen zu den Entwürfen“ - (PETZOLD 1993, S. 488), beschäftigt die Teilnehmer neben der naheliegenden Frage: „Was nehme ich mit nach Hause?“ verstärkt die Perspektive „Und was fange ich dort damit an?“ Individuelle Prozesse Die persönlichen Prozesse, im therapeutischen Setting von zentraler Bedeutung, werden in diesem speziellen Ausbildungsseminar nur so weit angesprochen, wie es für das allgemeine Verständnis nötig ist. Auch wenn die Studierenden ihre „privaten Geschichten“ nicht offenlegen, sind diese wie bei jedem authentischen Spiel in irgendeiner Weise präsent. Und während die Entwicklung der Professionalität im Vordergrund steht, findet ganz nebenbei auch persönliches Wachstum statt: Die intensive Untersuchung der Phänomene läßt dahinterliegende Strukturen erkennen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die, sich wiederholend, so etwas wie Muster darstellen (musikalisch in der Instrumentenwahl, der Spielweise, der Rolle innerhalb der Improvisation). Sie zu erkennen und zu hinterfragen eröffnet die Chance, neue Wege zu entdecken, d.h. die eigenen Kompetenzen zu erweitern. D. wird immer dann aktiv, wenn zwei sich zusammengefunden haben, bzw. wenn es „zu harmonisch“ wird. Ihre Situation: Voller Sehnsucht beobachten, „wie zwei sich gut verstehen“. Sie spricht von der Erfahrung, immer wieder traurig am Rande zu stehen, und ihrer Schwierigkeit, „um einen Platz zu kämpfen“. Verlustangst hindert sie daran, deutlicher zu werden. „Ich habe angst davor, daß es kracht, und dann ist alles kaputt und ich bin allein.“ A.: „Wenn du richtig laut geworden wärst, hätte ich mitgemacht oder mich abgegrenzt. Aber dein Gesichtsausdruck... - mir war einfach nicht klar, was du wolltest.“ D.: „Wenn ich ernsthafter aufgetreten wäre und durchgehalten hätte, hättet ihr mich also ernst genommen?“ (D. in der Schlußrunde, nun bezogen auf ihre berufliche Situation: „Deutlich sein, nicht den lächelnden Bajazzo spielen, wenn es um sich Behaupten geht.“) Das Medium Musik, gerade auch das Improvisieren, ermöglicht auf einer erlebniszentrierten Ebene korrektive benigne Erfahrungen, die zu heilsamen Veränderungen führen können, d.h. Musiktherapie hat nicht immer die Aufdeckung und Bearbeitung innerer Konflikte zum Inhalt, und auch im Seminarsetting kommen positive Erfahrungen und deren mögliche Konsequenzen zur Sprache. L., biographisch dafür prädestiniert und beruflich gewohnt, für andere Sorge zu tragen, hat es „wie eine Offenbarung erlebt, ganz egoistisch sich was zu gönnen und genießen zu können“. Sie hinterfragt - Stichwort Helfersyndrom - ihr bisheriges therapeutisches Rollenverständnis. Für K. war es „ein Durchbruch“, sich (nach dem Big Bom-Spiel) „endlich ans Klavier gewagt“ zu haben, das sie als ihr „Trauma-Instrument“ bezeichnet. Sie hat, für sie selbst ganz unerwartet, über die Improvisation wieder zu kraftvoller Lebendigkeit gefunden: „Jetzt werde ich aktiv.“ Arbeitsergebnis Alle Teilnehmer dieses Seminars hatten bereits zuvor in reichlichem Maße improvisiert. Sie hatten auch schon therapeutische Interventionsmöglichkeiten in Verbindung mit Improvisation kennengelernt. Sie hatten sogar schon selbst, wenn auch unterschiedlich oft, in der Rolle des Therapeuten mit Improvisation gearbeitet. Abgesehen vielleicht von einigen „Minilectures“ bietet das Seminar im Grunde wenig Neues. Nichtsdestotrotz scheint es in Bezug auf das professionelle Selbstverständnis und den Praxistransfer ein durchaus sinnvoller Baustein in der Ausbildung zum Musiktherapeuten zu sein. Denn die Studierenden haben hier
Sie verstehen sich als kompetente Begleiter auf der Suche nach einem sinn-vollen, stimmigen Weg, nicht als Wissende, die aus überlegener Position deuten und erklären. Denn auch das professionell geschulte Ohr, der therapeutische (Durch-?)Blick, die leibliche Resonanz auf das nicht nur akustische Geschehen und die Fähigkeit, hinter den Phänomenen Strukturen zu erkennen, lassen nur die subjektiven Wahrheiten erfassen, die erst im Austausch mit den anderen Beteiligten allmählich in einen Konsens über den immanenten Sinn einer Improvisation münden können. Literatur: EISLER-STEHRENBERG, K. (1990): Kreativer Prozeß - Therapeutischer Prozeß. In: Petzold/Orth (Hrsg.): Die neuen Kreativitätstherapien. Junfermann Verlag Paderborn FROHNE-HAGEMANN, I. (1990) Integrative Musktherapie als psychotherapeutische, klinische und persönlichkeitsbildende Methode. In: FROHNE-HAGEMANN, I. (Hrsg.): Musik und Gestalt, Junfermann Verlag Paderborn. FROHNE-HAGEMANN, I. (1994): Realitätsebenen des musiktherapeutischen Dialogs. In: Einblicke, Heft 6. hg. v. DBVMT e.V. und BKM e.V. FROHNE-HAGEMANN, I. (1999): Zur Hermeneutik musiktherapeutischer Prozesse. Metatheoretische Überlegungen zum Verstehen. In: Musiktherapeutische Umschau 2/99 GATZ, F.M. (1929): Musik-Ästhetik in ihren Hauptrichtungen. Ein Quellenbuch der deutschen Musik-Ästhetik von Kant und der Frühromantik bis zur Gegenwart. Enke Verlag Stuttgart DE LA MOTTE-HABER, M. (1985): Musik als Sprache. Funktionsweisen des Verstehens. In: DE LA MOTTE-HABER, M.: Handbuch der Musikpsychologie, Laaber Verlag Laaber PETZOLD, H.G. (1980): Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung in der Integrativen Therapie. In: PETZOLD, H.G. (Hrsg.): Die Rolle des Therapeuten und die therapeutische Beziehung. Junfermann Verlag Paderborn PETZOLD, H.G. (1993): Integrative Therapie. Modelle, Theorien und Methoden für eine schulenübergreifende Psychotherapie. 3 Bde. Junfermann Verlag Paderborn Hannah Vieth-Fleischhauer, Musiktherapeutin, |