FRANK G. GROOTAERS, LINZ


Improvisieren und Interpretieren als Einheit im Unterricht

Improvisation And Interpretation As A Unity In Teaching



Summary: The seminar argues for a working unity: improvising and its verbal interpretation need each other, they are immanently interdependent. In order to produce this unity within the music therapy curriculum and to preserve it, an intermediate step of psychological interpretation is proposed, which makes possible the transition from the musical phenomena to a psychological interpretation which is adequate to it.

This intermediary step is moulded around the morphological concept of creating history and unfolds into four directions of interest. These are described and interpreted in relation to an example from therapy.


Zusammenfassung: Das Seminar plädiert für eine Wirkungseinheit in dem das Improvisieren und seine verbale Interpretation auseinander hervorgehen und somit als Einheit im Unterricht behandelt werden sollten.

Um diese Einheit von Produktion und Auslegung im Unterricht zu gewährleisten, schlagen wir einen psychologisierenden Zwischenschritt vor, der es ermöglicht, von der Improvisation über-zu-setzen zu einer ihr adäquaten ersten Psychologisierung.

Dieser Zwischenschritt ist dem morphologischen Konzept (Prof. W. SALBER) der Historisierung entlehnt und orientiert sich an 4 Interessensrichtungen, die hier an einem konkreten Beispiel demonstriert werden

Es war das Anliegen meines Seminars auf dem 1. Europäischen Symposium: „Improvisationsunterricht im Musiktherapiestudium 1998“, Hamburg, die Wirkungseinheit von Improvisieren und dessen verbaler Interpretation als Einheit für den Unterricht vorzuschlagen.

Dieses Anliegen beruht auf zwei Gedankenquellen:

  • In meiner Rolle als Musiktherapiesupervisor und als Praxisbegleiter bin ich seit vielen Jahren im Austausch, immer wieder von neuem, mit geradezu allen Musiktherapieausbildungen dieses Landes. Alle SupervisandInnen berichten über unterschiedliche Probleme bei der Interpretation der musikalischen Produktionen in der Musiktherapie. Die gemeinsame Frage in all diesen Problemen kann man folgendermaßen formulieren: „Wie kann ich über- setzen von den musikalischen Ereignissen zu ihrer sprachlichen Erfassung im Hinblick auf ein Ziel der Behandlung“.

  • Die zweite Gedanken- und Erfahrungsquelle aus der ich mein Thema und mein Anliegen schöpfe, ist meine tägliche musiktherapeutische Arbeit mit den psychosomatischen Patienten in unserer Psychotherapeutischen Klinik. Ich habe mit den Patienten eine Technik entwickelt, die es ermöglicht, auf behutsamem Wege von der Produktion einer gemeinsamen Improvisation über-zu-setzen zu einer sinnvollen Psychologisierung derselben.


Diesen Zwischenschritt nun habe ich in meinem Seminar auf diesem Symposium vorgestellt anhand eines Fallbeispieles. Der Vorgang dieses Zwischenschrittes ist denkbar einfach:

Nach dem Improvisieren in der Gruppe befrage ich jeden Patienten in schöner Reihenfolge. Ich leite diese Befragung ein mit den Worten: „Beschreiben Sie Ihre Eindrücke, wie war das Ganze?“ Mit dieser Frage soll zur Sprache kommen, was der Einzelne gehört hat und wie der Gesamteindruck ist. Nach der Schilderung des Gehörten und der Beschreibung eines Gesamteindruckes geht die Befragung aber weiter. Die Befragung verfolgt mehr oder weniger systematisch vier Interessensrichtungen.


Erstes Interesse: Bewertung

Bei diesem Interessensfaktor achtet die Befragung auf Zustimmung und Abwendung; es wird damit Beurteilung, Kritik gefördert, es wird ein Vergleich angestellt mit vorher und heute. Durch diese Interessensbefragung wird das Profil dessen, was sich eingestellt hat, klarer gezeichnet.


Zweites Interesse: Bewegtheit

Bei diesem Interessensfaktor achten wir auf Irrationales, auf Dinge, die plötzlich eingetreten sind, musikalisch oder im Kopf. Wir achten auf Verfassungen, in denen man von etwas gepackt wird, wo seltsame Unruhe, Erregung oder Beängstigung eintritt. Auch das Drängen auf Harmonie, auf Stören-wollen sind Momente der Bewegtheit des Ganzen. Das zur Sprache bringen dieses Faktors fundiert das musikalische Ereignis in den Gefühlen.


Drittes Interesse: Engagement

Die Produktion von Etwas (Klänge) bringt notwendigerweise mit sich, daß wir uns für etwas einsetzen und anderes vernachlässigen. Das Stück selbst, um es einfacher zu sagen, entwickelt ein eigenes Gewissen, ein Produktions-Gewissen. Die Befragung dieses Interesses versucht in Worte zu fassen, was man im Stück macht und was das Stück mit einem selber macht, wozu es unbedingt nötigt. Das Stück macht eigene Rechte und Maßverhältnisse geltend.


Viertes Interesse: Konsequenzen

Bei diesem vierten Faktor wird nach Weiterführung gefragt:

Wo führt das hin, was da in Gang gekommen ist ? Was sich da heute einstellt, stellt zugleich Weichen für andere Produktionen. Das, was sich einstellt und auf Konsequenzen hinausläuft, schafft dadurch im Ganzen Ordnungen. Das wird dann zu einer gelebten Geschichte.

Diese vier Befragungsrichtungen machen aus dem, was sich bei der Improvisation einstellt ein historisches Etwas, von wo aus etwas anders werden kann. Die Historisierung von Etwas ist die Basis für Verwandlungen (SALBER 1965, 209-241).

Nachfolgend stelle ich eine solche Befragung dar und füge kursiv zwischen Klammern die verschiedenen Interessensrichtungen bei. Es handelt sich um ein Gespräch über eine gemeinsame Improvisation vom 11.09.1998.


Eine Patientin wird befragt:


Th.: Beschreiben Sie Ihre Eindrücke, wie war das Ganze ?

Pat: Es war laut und heftig, es war eine Wahnsinnssteigerung drin, fand ich. (Wahnsinnssteigerung: Bewertung)

Th.: Ein Prozeß !? (Würdigung als Bewertung)

Pat.: Ja.

Th.: Steigerung. Eine wahnsinnige Steigerung. Eine Steigerung, die Sie mitgenommen hat ? (mitgenommen: Bewegtheit)

Pat: Ja !

Th.: (Therapeut bemerkt leichtes Zögern der Patientin) Oder ?

Pat: Ja, vielleicht habe ich auch die anderen mitgenommen, durch mein Rhythmusinstrument (andere mitgenommen: Engagement, für etwas eintreten)

Th.: Sie haben die Steigerung mitgestaltet. (Bestätigung)

Pat: Ich denke schon.

Th.: Mmh, mmh..... Steigerung. (Denkzeit, Suchen, Konsequenzen)

Pat: Nachher fand ich, wir drei hier, hatten einen Rhythmus. (Bewertung durch Auswahl) (Pat. lacht verlegen) Das war sehr schön eigentlich. Es erinnerte an Indianer auf dem Kriegspfad. (Konsequenzen: Ein richtunggebendesBild)

Th.: Sehr schön ! (Bewegtheit) Sehen Sie da einen Widerspruch ?

Pat: Nein.

Th.: Ich auch nicht. Um was für einen Krieg handelt es sich denn, der so viel Spaß macht ?

Pat: Eh, ich glaube, das ist vielleicht doch ein Widerspruch.

Th.: Ja ..... Meinen Sie wirklich ? (Weitere Richtungssuche) Vom Spielen her gesehen: Worin bestand der besondere Spaß ? Wodurch entstand der Spaß ?

Pat: ... (Pat. braucht etwas Zeit, um ihre Worte zu finden) Ja, diese Art, andere Leute mitzureißen ! (Historisierung durch Benennung, durch Platzanweisung, durch Aufgliederung)




Was an diesem Beispiel verdeutlicht werden soll, ist der seelische Vorgang, der sich einstellt,bei der Patientin durch diese Art der Befragung: Die Steigerung, die wahrgenommen wird, rührt an einem Bild und in diesem Bild kommt die Patientin und die Gruppe mit ihr zusammen an ein anderes Bild, welches da heißt: Selber etwas steigern, mitreißen, selber bewegen.

Diese Art der Befragung, die als psychologisierender Zwischenschritt gehandhabt wird, bewegt also ein Doppeltes: Das Stück selbst erfährt eine historisierende Vertiefung. Das Stück wird zu etwas Wertvollem, mit dem sich die Patientin und die Gruppe verbunden weiß. Und, zweitens, die Befragte und, projektiv, die mit ihr verbundenen Mithörerinnen und –hörer gelangen durch diese Vertiefung in der Nähe eines beim Spielen nur vage bemerkten Affektes, der damit zu tun hat, etwas zu steigern, mitreißen zu wollen, etwas bewegen zu wollen. Diese beiden Befunde sind für einen Zwischenschritt schon eine ganze Menge und das Bemerken dieser Vorgänge und Benennen dieser Vorgänge in der Besprechung führt die Gruppe an ganz bestimmte Erzählungen heran. Aber das wäre ein Thema für ein kommendes Symposium.


Zusammenfassend:

Wenn man Improvisieren und deren Interpretation im Unterricht von Musiktherapie von vornherein als Einheit behandelt, wird man den Zielen eines Musiktherapiestudiums und den Anforderungen einer künftigen Praxis besser gewachsen sein, als wenn man ihre interpretative Übersetzung dem Zufall überläßt.

Dies gilt auch für Musiktherapien, bei denen man mit den Patienten nicht redet, nicht reden kann und nicht reden sollte.

Dieser Zwischenschritt in vier Versionen (Historisierung) ist auch hilfreich für die Erfassung und für das Verständnis eigenen Erlebens in der Situation mit den Patienten. (Silent-interpretation)

Mir schien in den Diskussionen auf dem 1. Symposium Hamburg 1998, daß die Interpretationen der Produktionen aus den verschiedensten Anwendungsbereichen sehr schnell ins Allgemeine und in grundsätzliche Erklärungen zu münden drohen. Mir schien weiter, daß bei manchen Konzepten eine nicht eingestandene Scheu gegen Interpretationen aufrecht erhalten wird. Mir schien weiterhin, daß in manchen Ausbildungen eine verwirrende Vielfalt, eine Beliebigkeit im Umgang mit den Interpretationen auf seltsame Weise gepflegt wird.

Wir plädierten in meinem Seminar für einen leichteren Zugang zu den Sachen selbst und zwar durch kleine, aber entschiedene Zwischenschritte, wie die eben vorgestellten. Wir meinen, daß durch diese Zwischenschritte die Verbundenheit und die Einheit von Produktion und Erklärung erhalten bleibt. Der Erhalt dieser Einheit scheint mir für die psychologische Wirksamkeit der Behandlung von grundlegender Bedeutung.


Literatur

GROOTAERS, F.G. (2001): Bilder behandeln Bilder. Lit Verlag, Münster

SALBER, W. ( 1965 ): Morphologie des seelischen Geschehens, Henn Verlag, Ratingen

SALBER, W. ( 1993 ): Seelenrevolution, Bouvier Verlag, Bonn


Dr. Frank G. Grootaers, Kirchplatz 1, D-53545 Linz am Rhein