KONZEPTE / KOMPOSITIONEN (1) Improvisation und Komposition scheinen logisch entgegengesetzt zu sein. Wird Improvisation trotzdem mit etwas Definiertem verbunden, spricht man oft von "Konzept". Da habe ich aber den Verdacht, dass dies Wort einen Klang bekommen hat in Richtung "Skizze", etwas was nur angedeutet ist, etwas Vorläufiges, was nur Startpunkt ist. Das trifft denn auch für manche Fälle zu. Sie können außermusikalisch sein: ein Bild, ein Gedicht, ein Stichwort - oder musikalisch-konkret, z.B.: "mit langen Tönen anfangen". Eine wichtige Unterscheidung scheint es zu sein, ob ein Konzept implizit ist, privates Hilfsmittel für die Musiker, wobei das Publikum dagegen ihre eigene Vorstellungen haben sollen - oder aber explizit, als Leitfaden für die Hörer. Con fuoco, eine Gruppe, die mehrmals diese Stichworte im Programm bekannt machte, scheint die letzte Möglichkeit zu bevorzugen. Bei Madam Press ist die erstgenannte Art repräsentiert, sowie auch Zwischenfälle mit vielsagenden Titeln. So gibt es in der Suite "Amerikanische Bilder" folgende Sätze: "Mikroskopische Bewegungen" - "Das Licht dahinten" - "Rhythmische Spiegelungen". Eine andere Suite, "Klanglandschaft", formuliert sich quasi didaktisch klar mit den Sätzen: "Töne" - "Geräusch" - "Intonation" - "Klang". (2) Auf die Spitze getrieben könnte man demnach Konzepte definieren als all das, was lediglich Ausgangspunkt oder Stimulans, Katalysator ist, was nicht dominieren darf. Umgekehrt ließe sich, auch zugespitzt, sagen, dass sobald man von Qualitätsansprüchen und inneren Zusammenhängen in Spielanweisungen zu reden anfängt, wir in Richtung Komposition gehen, und seien die Anweisungen noch so einfach. Ich möchte dazu auffordern, diese Begriffe zu reflektieren um keinem falschen Dualismus zu unterliegen. Und in diesem Artikel werde ich den Begriff "offene Komposition" verwenden, wenn ich nicht ganz sicher bin, dass es sich um ein "Konzept" im oben definierten Sinne handelt. |
INTUITIVE MUSIK
Dieser Begriff wurde von Stockhausen im Jahre 1968 introduziert in engem Zusammenhang mit seiner Sammlung Aus den Sieben Tagen, worin die Kompositionen mit relativ kurzen Texten notiert sind. Der Begriff bedeutete da einerseits das Resultat einer meditativen "geistigen Einstimmung" wozu die Texte ein Hilfsmittel sein sollten - obwohl musikalisch "in ganz bestimmter Weise" (3) - also Resultate von möglichst direkter Intuition. Andererseits wurde zugleich die Bestrebung, Improvisations-Klischees zu vermeiden, betont. Der Begriff wurde in Dänemark für viel improvisierte Musik verwendet, mit oder ohne Verbindung zu Stockhausen und ohne eine sehr präzise Definition. Das Wort 'intuitiv' scheint einfach in der Zeit zu liegen. Man kann auch die letztgenannte stockhausensche Bedeutung so auslegen, dass es um "intensivierte Improvisation" geht - immer neu im Hier und Jetzt statt nach bestimmten Modellen.(4). |
für Ensemble
ÜBEREINSTIMMUNG Spiele / singe extrem lange leise Klänge und extrem kurze laute Klänge Versuche, immer mehr Klangeinsätze mit den anderen SYNCHRON zu spielen / singen ohne optische Zeichen Karlheinz Stockhausen, aus der Sammlung Für kommende Zeiten (Kürten, 1970). 17 Texte zur intuitiven Musik. Die insgesamt 31 Stücke in den zwei Sammlungen von Textkompositionen sind sehr verschieden. Immerhin werden hier zwei wesentliche Aspekte exemplifiziert: die Fähigkeit Stockhausens, klare Veränderungen von Parametern festzulegen mit ganz einfachen Mitteln - und eine Tendenz zum Meditativen - in diesem Falle dadurch, dass man die Unbestimmtheit der Situation, in welcher die Synchronisierungsversuche vor sich gehen sollen, akzeptieren muss. |
FREIE IMPROVISATION UND IHRE ALTERNATIVE
Keine der hier erwähnten Gruppen hat freie Improvisation als Hauptsache propagiert. GIM war im Ausgangspunkt mit den freiesten Formen komponierter neuer Musik verbunden, die wir als Emanzipation von der streng detailliert geschriebenen Musik empfanden. BHGIM ist von der GIM-Tradition geprägt - Madam Press ist der Musikkultur am Konservatorium verbunden, nicht unähnlich GIM der Universität. Für Con fuoco scheint die Verwendung von einfachen aber dennoch definierten und expliziten Ausgangspunkten charakteristisch zu sein (nicht unähnlich dem Gebrauch von improvisierter Musik in unserer Musiktherapieform). IMG spielt zwar freie Improvisationen im Konzert. Ich sehe das jetzt auch als eine sehr wichtige Musikform, eine Herausforderung, die ebenso wichtig ist für das Publikum wie für uns selbst. Freie Improvisation war aber außerhalb der Konzerte wichtig - in der Gruppe für Alternative Musik ein wichtiger Einstieg in die Musik schlechthin, in GIM auch ein unentbehrlicher Teil unserer Aktivität. Für diese Improvisationen haben wir uns mitunter viel Zeit genommen, wir haben das wohl auch als ein Spiel empfunden, ohne ans Publikum denken zu müssen. Ein anderer Grund dafür, dass das Volumen von offenen Kompositionen in den Programmen von GIM, IMG und BHGIM so groß war und ist, rührt daher, dass es einfach so viele gute Ideen gibt und so viel Lust, sie zu präsentieren! Das ist für mich eine Erfahrung von geradezu existentiellem Gewicht... das Kennenlernen von Kompositionen anderer ist eine wunderbare Form, miteinander zu tun zu haben. Man erfährt wirklich etwas sehr Einprägsames über andere Persönlichkeiten in sehr positiver, kreativer Form: "Schau, so könnte man auch..." Der Komponist wird zur Konsequenz und Ausführlichkeit gezwungen. Das hat Ähnlichkeit mit Soloimprovisation (5), doch wir anderen sind auch intensiv daran beteiligt und werden direkt in seine/ihre Welt eingeladen und transportiert. Selbst dranzukommen zur aufmerksamen Bearbeitung der eigenen Komposition kann man dann nachher mit gutem Gewissen (6)! |
1. Siehe bitte auch mein Artikel im vorigen Heft von Ringgespräch LXVIII, Juni 2002, "Offene Komposition und andere Künste" - mit vielen Illustrationen von offenen Kompositionen, die in GIM und IMG entstanden! Auch im Internet hier. Zum Thema von Konzepten/offene Kompositionen siehe auch den Schluss des letztgenannten Artikels. Verschiedenes mehr zu dem gegenwärtigen und zu angrenzenden Themen hier.
2. Einen klarer Standpunkt nahm Karina Agerbo in einer Lokalsendung im Dänischen Rundfunk Juni 1995 ein: „Es macht beim ersten Mal am meisten Spaß. Das ist wohl eigentlich der Grund dafür, dass wir diese Stücke nicht üben sollten. Das Beste ist, ein Konzept zu haben, es vielleicht ein paar Mal zu spielen, und dann ein neues zu schaffen". Johan Toft schien dagegen für „Evergreens" zu sein. Die erste Verfahrensweise betont die unentbehrliche Spontaneität, bei wiederkehrenden Stücken hat man dagegen nicht nur die Möglichkeit, Ideen auszutauschen (auch über physische Begrenzungen hinaus, schon durch die Schrift), auch repräsentieren die Stücke eine Begrifflichkeit. Sie werfen je ihre besondere Perspektive über die Musik, man kann über sie reflektieren. Wieso sollten Stücke nur traditionelle Stücke sein? - Das improvisierte Spiel an sich hat für mich etwas Entzückendes, nach ungefähr zehn Minuten ist die Müdigkeit der Anreise normalerweise verschwunden, zugunsten eines freien und guten Gefühls. Ich vermute, das hat etwas mit der Gehirnfunktion zu tun. Wenn ich an Kompositionen denke und mich dabei freue, gibt es diese Freude eher in „Pillenform", schönen poetischen oder philosophischen Begriffen vergleichbar.
3. Karlheinz Stockhausen: "Aus den sieben Tagen", Texte 3, Köln (DuMont), 1971, S. 123f.
Siehe auch meine Analyse von den Stücken, auch von denen aus der späteren Sammlung Für
Kommende Zeiten (1970): "Festlegen, Umreißen, Andeuten, Hervorrufen. Analytisches zu den
Textkompositionen Stockhausens", MusikTexte 72, November 1977 oder hier.
4. Mehr über diesen Begriff in meinem Artikel "Intuitive Music and Graphic Notation at Aalborg University. On two musical training disciplines and their theoretical backgrounds" (1999).
5. Obwohl irreführend als direkter Vergleich - weil eine Komposition weitgehend unabhängig von der Realzeit sein kann.
6. Eine Kollegin, Birgitte Alsted, verglich dies Geben und Nehmen - allerdings im Zusammenhang kollektiver Komposition - mit dem Austauschen von Weihnachtsgeschenken.
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